Text: Daniel Zant
Virtuelle Haustiere waren in den späten Neunzigern vor allem in Japan ein ungebremster Kassenschlager; insbesondere Tamagotchis waren ein weltweites Phänomen. Wie bei einem echten Lebewesen sollte man sich jeden Tag um den Zustand des Wesens kümmern, mit ihm spielen, es füttern, kommunizieren, Häufchen entfernen… Um ein solches virtuelles Haustier geht es bei „Seaman“ für Dreamcast. Zwar auf eine etwas eigentümliche, aber doch faszinierende Art und Weise.
Das Augenscheinlichste: Dem Spiel wird ein Mikrofon beigelegt, welches in den Erweiterungsschacht des Dreamcast-Controllers gesteckt wird. Ohne Mikro ist das Spielen des Games nicht möglich ist, da die Seamen zu einem gewichtigen Teil verbal mit ihrem Besitzer kommunizieren. Aber wozu soll das Ganze gut sein? Der französische Wissenschaftler Dr. Jean Paul Gassé stieß in den 1930er-Jahren auf Hinweise über ein Lebewesen, welches „allmächtiger Götterbote“ genannt wird. Diese Wesen sollten in den Ruinen der dritten Dynastie Ägyptens zu finden sein. Dr. Gassé war entschlossen, dieses Rätsel zu lösen. Im März 1932 stieß er dann tatsächlich auf einen Seaman. Er nahm Seaman-Eier mit nach Paris, schaffte es aber nicht, einen Seaman am Leben zu erhalten. Er schrieb seine Thesen nieder, doch angesehene Wissenschaftler wollten ihn ohne einen lebenden Beweis nicht unterstützen und sahen das Ganze als PR-Gag an. Gassé nahm an, dass Seamen für den Wissenstransfer in der dritten Dynastie über die Meere zu anderen Ländern verantwortlich waren. Kurz nach seiner Dissertation wurde Dr. Gassé von seinem Posten enthoben, was anschließend passierte kann man auf meetseaman.com grob nachverfolgen und bekommt hierbei quasi den Bogen zum Spiel vorgesetzt. Die Site ist zwar offline, aber dank dem Web-Archiv ist es trotzdem möglich, dem Rest der Geschichte zu folgen. Beim Start jeder Spiele-Session werden wir in der amerikanischen Version mit der freundlichen Stimme von Leonard Nimoy empfangen und erhalten allerlei nützliche Informationen während des Ladevorgangs. Anschließend sehen wir (vor allem anfangs) ein Aquarium. Was zu tun ist, lässt sich aus der Anleitung herauslesen. Yoot Saito und sein Entwicklerteam von Vivarium möchten allerdings den Forscherdrang des Spielers fördern und gehen daher den Weg, den Spieler anschließend alles selbst herausfinden zu lassen, unter dem Hinweis, dass das Spiel mangels Spielzielen und Punkterängen zum Genießen einladen soll. Oder aber man informiert sich im Internet. Anfangs gilt es, ein Ei ins Aquarium zu legen, für die optimalen Bedingungen zu sorgen und zu warten. Nach einiger Zeit entspringen diesem Ei mehrere sogenannte Mushroomers mit quasi-parasitärem Status. Ein Nautilus wird sich als Wirt nützlich zeigen und aus jenem entwachsen mehrere Gillman, die dann tatsächlich dem Fischkörper mit Menschengesicht aus den Screenshots ähneln. Nach einiger Zeit bleibt ein Wesen übrig, mit dem man interagieren kann und mit welchem man mehrere Evolutionsstufen durchwandert bis… nun ja, finden sie es selbst heraus. Ein richtiges Ende gibt es in diesem Spiel nicht. Stellen sie sich auf manch philosophischen Ansatz ein. Optisch ist das Spiel ohne Highlights ordentlich inszeniert und macht sich die Systemuhr zu Nutze – ein mehrmaliger täglicher Besuch ist also Pflicht! Das Spiel ist nur als Import erhältlich. Neben Dreamcast wurde auch die PlayStation 2 bedient, eine Windows-Version wurde nie fertiggestellt. Der Nachfolger, „Seaman 2“, hat nur lose mit dem ersten Teil zu tun. Also tauchen sie in die unscheinbare Welt der Seamen ein und vernachlässigen sie jene nicht, damit diese ihnen wohlgesonnen bleiben!