Text: Daniel Zant
1996: SEGA gibt die Entwicklung eines „Virtua Fighter RPG“ für den Sega Saturn bekannt. Akira – ein Kämpfer aus der Prügelreihe – soll der Protagonist sein. 1998 war bei SEGA ein Generationswechsel angesagt, daher wurde das Spiel nun für SEGAs neues Flaggschiff – die Dreamcast – weiter programmiert und fortan von Yū Suzuki als „Project Berkley“ und das Genre als F.R.E.E. (Full Reactive Eyes Entertainment) bezeichnet, was diese neuartige Erfahrung vom Spiel gut umschreiben sollte.
Dem Dreamcast-Re-leasetitel „Virtua Fighter 3tb“ lag eine Zusatz-GD-ROM bei, wo „Project Berkley“ näher vorgestellt wird – unter dem neuen offiziellen Namen „Shenmue“. Ende 1999 durften japanische Spieler dann auch den wahrgewordenen Traum von Suzuki-San spielen, Europäer mussten sich noch ein weiteres Jahr bis zum Release gedulden. Die Geschichte: Yokosuka, am 29. November 1986. Der junge Ryo Hazuki muss hilflos mitansehen, wie sein Vater Iwao Hazuki von mysteriösen Leuten überfallen und von deren Anführer, Lan Di, getötet wird. Das Ganze hat, wie Ryo erfahren muss, irgendwas mit einem Drachenspiegel und dem Tod von Lan Dis Vater zu tun – der Tod von Iwao Hazuki ist quasi ein Racheakt. Ryo fasst einen Beschluss: Er wird die Verantwortlichen stellen und sich für den Tod seines Vaters rächen. Mit wenigen Anhaltspunkten befragen wir die Bewohner von Yokosuka nach Hinweisen und bekommen so nach und nach immer mehr Hinweise über den Vorfall. Im Laufe des Spieles nimmt Ryo u.a. einen Job als Gabelstaplerfahrer an und wir dürfen ihn daher beim Arbeiten unter die Arme greifen. Am Ende des ersten Teils wissen wir, dass Ryo nach Hong Kong muss. Technisch war „Shenmue“ ein Augenschmaus: Waren Dreamcast-Spiele zu Ihrer Zeit optisch der Konkurrenz weit voraus, schaffte es SEGA mit „Shenmue“, den Abstand zur Konkurrenz noch um ein Vielfaches vergrößern. Jeder einzelne NPC hat einen eigenen Tagesablauf, geht individuellen Beschäftigungen nach und ist daher nur zu bestimmten Uhrzeiten anzutreffen. In der Zwischenzeit konnte Ryo sich die Zeit vertreiben indem er u.a. in der Spielhalle die SEGA-Klassiker „Space Harrier“ und „Hang-On“ spielt, Sammelfiguren sammelt oder sich um ein obdachloses Kätzchen kümmert. Bei Kämpfen kamen die „Virtua Fighter“-Wurzeln zum Vorschein, wobei die Kampfmanöver erst nach und nach erlernt werden durften. QTEs wurden mit „Shenmue“ quasi salonfähig. Die Grafik mag aus heutiger Sicht antiquiert sein, die Steuerung war damals schon bockig und wer heutzutage mit Spielen wie „GTA V“ seinen Spaß hat, wird die Gaukelei der ach so echten Spielwelt leicht entlarven. Aber im Jahr 2000 war „Shenmue“ nicht nur eine optische Offenbarung, sondern auch die Summe all seiner kleinen und liebevollen Elemente. Im Nachfolger, der 2001 für Dreamcast und Xbox erschien, befindet sich Ryo nach der Schifffahrt am Hafen von Hong Kong und ist weiter auf der Suche nach dem Mörder seines Vaters. Der zweite Teil hielt am Konzept fest, macht aber einiges komfortabler, größer und vielfältiger. Teil 2 endet mit einem Cliffhanger; die Fans mussten – weil die beiden Spiele aufgrund der horrenden Entwicklungskosten finanziell floppten – 18 Jahre und eine Kickstarter-Kampagne warten, bis sie erfahren durften, wie Ryos Reise weitergeht. Teil 3 ist aber nicht das Ende. Yū Suzuki gibt hoffentlich bald ein Statement zu einem Nachfolger ab. Wer die Abenteuer von Ryo rund um Rache und Freundschaft auf aktueller Hardware erleben möchte, kann alle drei Teile auf der PlayStation 4 genießen bzw. die ersten beiden Teile auch auf Xbox One.