Text: Daniel Zant
Horizon Chase, ein Arcade-Raser des brasilianischen Studios Aquiris im Stile der Lotus- bzw. Top-Gear-Serie, ist Smartphone-Spielern seit Jahren ein Begriff. Die erweiterte Version Horizon Chase Turbo ist seit Sommer auch auf Steam und im PlayStation Store – in Brasilien auch physisch für die PlayStation 4 – verfügbar, und erfuhr kürzlich eine Veröffentlichung für Nintendo Switch und Xbox One. RETURN hatte die Möglichkeit, auf der gamescom Hand an die Version für Nintendos Hybriden zu legen und konnte sich von der Qualität des Titels überzeugen.
Beworben wird das Spiel mit Soundabmischungen von Barry Leitch. Der eine oder andere RETURN-Leser wird ihn kennen, da dieser seit den 80er Jahren viele Heimcomputer- und Videospiele mit einprägsamen Melodien versehen hat. Unter anderem für die bereits erwähnte Top-Gear-Reihe, welche sich im Land des Sambas großer Beliebtheit erfreut. Man kann es nur als logische Konsequenz des Herstellers sehen, den sympathischen Musikproduzenten an Bord geholt zu haben – und somit zusammenzuführen, was zusammen gehört. Wie genau das geschah, und einiges mehr, hat er uns in einem Interview verraten, das wir im Zuge dieser Anspielprobe mit ihm führen konnten. -dz
RETURN: Hallo Barry, vielen Dank, dass du dir Zeit für uns nimmst.
BARRY LEITCH: Der Dank ist ganz meinerseits.
Im deutschsprachigen Raum ist dein Name zwar nicht der Bekannteste. Doch Spieler früherer Tage kennen mindestens deinen Beitrag zu Lotus II. Fühlst Du dich geehrt, dass Menschen weltweit dein Werk kennen?
Dass es immer noch Menschen gibt, die die alten Stücke von vor fast 30 Jahren hören, das ehrt mich.
Wie bist du eigentlich in die Branche gekommen?
1986 schickte ich C64-Demos mit meinen Tunes an alle einschlägigen Firmen in ganz England. Die sagten alle nein. Also machte ich noch mehr Demos und schickte sie wieder hin. Irgendwann sagte dann einer von ihnen: „Wir mögen den Tune, wir würden ihn gern in unser Spiel einbauen“.
Wurdest du dafür fürstlich entlohnt?
150 Pfund.
Kam es zu weiteren Engagements?
Danach kam gar nichts, der Verriss der I.C.U.P.S.-Musik war das Ende meiner Karriere, bis ein paar Freunde anfingen, an Marauder zu arbeiten und sie jemanden für die Musik suchten. Sie wollten mir sogar den Musiktreiber dazu schreiben.
Und das war dann der Startpunkt deiner „zweiten Karriere“?
Ein paar Monate später war ich voll angestellt als Komponist bei Catalyst Coders – eine kurzlebige Unternehmung, immer kurz vor der Pleite. Aber es war ein Start, und Spaß hat es auch gemacht. 🙂
Hast du einen Überblick, an wie vielen Scores du mitgearbeitet hast?
In Brasilien fragte mich vor Kurzem einer dasselbe, da wusste ich es nicht genau. Ich habe dann viereinhalb Tage lang alles zusammengezählt und ein Video davon gemacht.
429, oder sogar noch mehr. Ich bekomme öfter Nachrichten, die mich an Sachen erinnern, die ich schon ganz vergessen hatte.
Wenn man sich deine Spielegrafie durchliest, sieht man, dass du sehr variabel warst, also nicht nur für ein paar bestimmte Systeme deine Werke zur Verfügung gestellt hast, sondern für eine gefühlte Dutzendschaft an Systemen. Ist es schwer, so viele Systeme im Überblick zu haben?
Ich bin mir sicher, dass ich auf mehr Systemen gearbeitet habe als sonst jemand auf der Welt, und das noch bevor ich mit den Soundchips für Spielsachen angefangen habe. Früher mussten wir für jeden neuen Soundchip die Musik extra anpassen. Jeder hatte seine eigenen Beschränkungen für Polyphonie und Sounds, da mussten wir sehr aufpassen, dass wir die Musik so arrangierten, dass sie möglichst leicht auf andere Maschinen übertragbar war.
Was für Tools und Instrumente hast du früher verwendet?
In den 80ern hatten wir gar nichts. Einen Computer und einen Stuhl. In den 90ern gab es dann schon mal die Synths, Roland JV1080er, Kurzweil K2500er und so was. Bei Atari hatte ich eine Novation Superstation und einen Access Virus, die waren echt cool. Macs mit Pro-Tools, PCs und so weiter. Das war damals Standard.
Wie kommen bei dir die Ideen zu Spielemusik? Ist das unterschiedlich? Musst du dir vorher das Spiel und seine optischen sowie spielerischen Szenen genauer ansehen? Oder kommt das aus dem Bauch heraus, a la „Barry, wir haben da ein düsteres Spiel, kannst du da was machen“?
Die Musik bestimmt das Gefühl, das du beim Spielen hast, darum versuche ich immer, die Emotion im jeweiligen Teil des Spiels genau zu treffen. Und den richtigen Puls in das Spiel einzubringen, ist der Erfolgsschlüssel, um den Spieler auf seiner Reise durch das Geschehen im Spiel zu führen.
Inwiefern tragen Soundeffekte zu einem Soundtrack bei?
Sie sind da, um dem Spieler Feedback zu geben. Wenn alles gut gemixt ist und genau die richtige Balance gehalten wird, sollten die SFX den Soundtrack nicht übertönen und der Soundtrack sollte die FX nicht ertränken. Das Problem hatte ich besonders, als ich Musik und SFX für das Arcade-Game Gauntlet Dark Legacy bearbeitete. Die Arcade-Umgebung war dermaßen laut, dass Musik und Effekte absolut perfekt abgestimmt werden mussten, mit geringsten Unterschieden zwischen den lautesten und den leisesten Abschnitten, damit der Spieler auch alles hören konnte. Hätte ich das nicht so gemacht, wäre der Sound unter dem Lärm all der anderen Maschinen schlicht untergegangen.
Konntest du dich früher kreativ entfalten, oder musstest du deine Musikstücke so stark beschneiden, dass sie mit dem originalen Hörgenuss nichts mehr zu tun hatten?
Wie sag ich das am besten … hmm… Ich glaube, im Lauf der Zeit entwickelst du eine eigene Kreativitätsmethode, allerdings, bevor ich mich für eine Inspiration für ein neues Stück umbringen müsste, würde ich mich heute einfach hinsetzen und zu schreiben anfangen, ohne weiter darüber nachzudenken.
Wurdest du von anderen Werken auf Computern und Konsolen inspiriert?
Klar, auf die Jahre gesehen. Ganz früher gab es eine Zeit, wo die Leute technisch unglaubliche Fortschritte machten. Da fand man Wege, aus der Sound-Hardware die unmöglichsten Effekte herauszuquetschen, und jedes Mal, wenn so ein Durchbruch gelang, verbreitete sich das über den ganzen Spielemarkt, andere bauten es bei sich ein und erfanden davon ausgehend noch mehr Effekte. Es war ein ständiges, fruchtbares Pingpong-Spiel.
Gibt es sonst irgendwelche Musiker oder Musikstücke, die dich inspiriert haben? Eventuell aus dem klassischen Bereich?
Ich bin ein großer Bach-Fan. Ich habe z. B. versucht, seine mathematische Art des Voranschreitens im Musikstück im Soundtrack von Horizon Chase Turbo zu übernehmen. Ich wollte eigentlich auch ein Händel-Stück darin verarbeiten, fand im Spiel aber keine passende Stelle. Ich hab dann ein bisschen von Händels Sarabande in einem der Level anklingen lassen. Andere Musikmacher wie Rob Hubbard haben mich während meiner gesamten Karriere beeinflusst, klar. Ich bewundere sein Werk regelrecht.
Welche Scores favorisierst du?
Aus Spielen? Spellbound C64, ich war sehr angetan von den Soundtracks von Stronghold und Stronghold Crusader. Filme – Fargo, Heat, Der letzte Mohikaner, starke Melodien machen immer bei mir das Rennen.
Und was ist dein Lieblingswerk von dir selbst? Und welches ist das Werk, das du am liebsten in die Tonne treten würdest?
Ich gebe zu, dass ich auf Horizon Chase Turbo doch ziemlich stolz bin, und auf den alten TFX Flight Simulator auf dem PC (mit MT32 Soundcard). Und was die Stücke angeht, die in die Tonne gehören, hahaha … Ganz schön viele von meinen allerersten waren ziemlich schrecklich.
Horizon Chase Turbo ist eine grobe Anlehnung an die Top-Gear-Serie – es ist sehr passend, dass man bezüglich des Soundtracks jemanden an Bord holt, der früher schon mitgewerkelt hat, um vor allem die akustische Verbindung zur damaligen Zeit herzustellen (um vielleicht auch ältere Gamer ins Boot zu holen). Wie kam der Kontakt zwischen Aquiris, dem Entwickler, und dir zustande?
Top Gear ist UNGLAUBLICH bekannt in Südamerika – fast wie Mario – echt! Das haut mich ziemlich um, denn für mich war Top Gear gerade mal ein schnell gemachtes Spiel unter vielen anderen Projekten zu der Zeit. Das SNES hatte aber in Südamerika eine sehr lange Lebensdauer – und weil Top Gear eins der wenigen Multiplayer-Spiele darauf war, wurde es SOOO OFT gespielt! Aquiris hat über Facebook mit mir Kontakt aufgenommen, sie waren richtig begeistert, diese Liebeserklärung an Top Gear zu schreiben (und Top Gear war auch Gremlins SNES-Version der Lotus-Spiele). Ihre Leidenschaftlichkeit bezüglich des Spiels erinnerte mich daran, wie ich in den späten 80ern und frühen 90ern in England arbeitete: Wir liebten Spiele, und die Leute von Aquiris schienen die gleiche Freude daran zu haben. Ich hatte ein gutes Gefühl für die Zusammenarbeit mit ihnen, wir wurden handelseinig und ich fing an, Stücke für Horizon Chase zu schreiben.
Werden Aquiris und du in Zukunft weiter zusammenarbeiten? Und vor allem, würdest du gerne für einen Nachfolger von Horizon Chase Turbo zur Verfügung stehen?
Ein weiteres Horizon-Chase-Spiel mit Aquiris wäre ein Traum, ich weiß aber, dass sie im Moment viel mit ihrem Warner-Brothers-Spiel zu tun haben. Darum weiß ich nicht genau, ob sie das Franchise weiter ausbauen wollen, es wäre aber schön, wenn. Gegenwärtig schreibe ich meistens Musik für Kinderspielzeug (die Soundchips in den Sachen haben ganz ähnliche technische Grenzen wie die alten Computer), ich bin aber mit Musik für Spiele aufgewachsen, darum möchte ich damit irgendwann auch mal sterben.
Vermisst du manchmal diese alten Zeiten, in denen man immer wieder versuchte, die Systeme an ihre Grenzen zu bringen?
Ja und nein. Heute ist es so viel einfacher, gut klingende Musik zu machen. Du musst dir nichts mehr vorstellen oder einen Teilsound entwickeln, z. B. eine E-Gitarre, du benutzt die E-Gitarre einfach.
Wenn wir schon beim Thema sind: Was waren Deine Lieblingssysteme? Sowohl als Spieler als auch als Musiker?
Mein liebstes System zum Komponieren war die PC-MT32-Soundkarte in den frühen 90ern, das war gerade in dem glücklichen kurzen Moment, bevor CD-Audio rauskam. Das war eine ganz ausgezeichnete Soundkarte, ich liebte es, darauf Musik zu machen. Von vielen alten Amiga-Games kamen zu der Zeit PC-Versionen heraus, aber auf diesen Soundkarten klang die Musik VIEL besser. Hör dir mal die MT32-Versionen von Utopia oder von TFX und Inferno an.
Gibt es irgendwelche (lustigen) Erinnerungen von deinen früheren Entwicklungen, über die du uns gerne erzählen möchtest?
Ja, ein paar sind mit Horizon Chase verbunden. Erstmal, in der Mobilversion gibt es ein Easter Egg, nämlich den Heiratsantrag an meine Frau, such mal auf YouTube nach MOST DARING PROPOSAL EVER. Dann, wenn du an einem Game-Soundtrack arbeitest, sind die beiden schwierigsten Tunes der erste und der letzte. Der erste, weil du möchtest, dass du sowohl kreativ rüberkommst als auch eine perfekt passende Stimmung erzeugst. Und der letzte, weil du bis dahin alle deine guten Ideen aufgebraucht hast. Als ich mein erstes Demo des ersten Tunes für Horizon Chase abgab, dachte ich, dass ich eine dicke E-Mail mit einer riesigen Liste mit Änderungswünschen zurückbekäme – es ist übliche Praxis, so eine scheißlange E-Mail zu kriegen, wo jemand dann aufzählt, was sie dir eigentlich ganz am Anfang hätten sagen müssen… Ich bekam aber nur eine Zweiwort-E-Mail von Aquiris, in der stand nichts weiter als „Fucking awesome!“ Nachdem ich das bekommen hatte, war ich völlig aufgelöst und hingerissen und ich machte mich an mehr von solchem verrückten, neuen Zeug.
Kennst du eigentlich alteingesessene Sound-Composer aus dem deutschsprachigen Raum? Einer der berühmtesten ist z. B. Chris Hülsbeck, der u. a. für die Soundtracks von Turrican II oder The Great Giana Sisters zuständig war.
Klar kenne ich Chris! Als ich für Atari Games in Kalifornien an Gauntlet Legends (N64) arbeitete, verwendeten wir die Factor-5-N64-Musiktreiber und mussten deshalb ab und zu in ihre Büros. Er ist ziemlich groß 🙂 und talentiert. Seine Star-Wars-Sachen auf dem N64 sind großartig.
Hast du mit den anderen Größen des Business’ eventuell auch gemeinsame Arrangements gemacht?
Ja, hin und wieder. Als ich bei Ocean war, arbeitete ich ziemlich eng mit Dean Evans zusammen. Wir wechselten manchmal einfach mitten am Tag die Büros und arbeiteten an den Tunes des jeweils anderen weiter. Das war eine ziemlich erfreuliche Arbeitsweise für uns. Eine andere Sache, auch bei Ocean, war die Zusammenarbeit mit der Goth-Rock-Band Alien Sex Fiend für den Soundtrack von Inferno, das hat richtig Spaß gemacht. Im Lauf der Jahre gab es immer wieder mal Koproduktionen mit den verschiedensten Leuten, meist an kleineren Sachen, Remixes und so was.
In RETURN #34 haben wir in unserer Crossover-Rubrik über Silkworm berichtet, ein Spiel, das von vielen Spielern heutzutage noch immer sehr geschätzt wird. Möchtest du uns dazu etwas sagen?
Silkworm war eher so ein Schnellschuss von mir. Ich glaube, ich bekam an einem Freitag um vier Uhr nachmittags einen Anruf, wo es hieß, wenn wir in ein paar Stunden Musik liefern könnten, dann hätte ihr Spiel endlich Musik. Wenn nicht, wäre es auch egal, dann käme es eben ohne raus. Tatsächlich arbeite ich gerade mit ein paar Leuten an einem Remake von Silkworm, das dann Silksnakes heißen soll. Jedenfalls ist die Titelmusik schon mal fertig. (Ehrlich gesagt, ich weiß aber nicht, ob es noch fertiggestellt wird. Sieht langsam aus wie ein totes Projekt.)
Die Videospielbranche hat sich über die Zeit gewandelt – und wir nehmen an, dass sich die Arbeit in deinem Bereich seit deinen Anfangstagen entsprechend stark verändert hat.
Oh, definitiv! Ich glaube, in den ersten paar Jahren habe ich das Komponieren mehr gelernt als gemacht. Ich war eher ein ziemlich mieserabler Komponist anfangs, aber ich hab mich wohl doch bis aufs Mittelmaß hochgearbeitet – möchte ich jedenfalls glauben.
Ist die Musik deine Haupttätigkeit, oder hast du noch andere Jobs, mit denen du deine Rechnungen bezahlst und Reichtum anlegst?
Ha! Reichtum! Es gibt keine reichen Spiele-Composer! Meistens komponiere ich für Spielzeug, das ist eine recht beständige Tätigkeit, wenn auch ziemlich eingeschränkt. Und ich baue für Freunde PCs zusammen und repariere sie.
Hast du eigentlich sonst noch etwas im Computerbereich gemacht, sprich: Hast du auch programmiert oder ähnliches?
Ich habe alles gemacht, was mit Audio, Musik, Sound-Design, Dialogen (Sprechen, Editieren, Effektbearbeitung, Mastering) und so weiter zu tun hat. Ganz am Anfang habe ich mal ein bisschen 6502-Programmierung versucht, das war aber schon ziemlich schwierig. Ich habe mich dann lieber auf Audio festgelegt.
Welche Pläne hast du für die Zukunft?
Ich hoffe, dass ihr noch viel von mir zu hören bekommt! Letztes Jahr habe ich an einem Spiel namens Madballz, einem Marble-Madness-Remake, gearbeitet. Im Moment wird es noch zurückgehalten, ich war aber ziemlich angetan von meinem Soundtrack, darum hoffen wir mal, dass sie endlich dazu kommen, das Spiel fertigzustellen und herauszugeben.
Barry, vielen Dank für das Interview und für den sympathischen Kontakt.
Danke, ich hoffe, ich habe nicht nur blöd rumgeschwafelt.
Der beliebte Soundtrack zu Horizon Chase Turbo ist als digitaler Download (Bandcamp, Steam, PlayStation Store) und auf CD erhältlich. Den Tonträger bekommt man auf barryleitch.com für ca. 20 US-Dollar – auf Wunsch auch mit Signierung des Meisters.